Der Weg zum politischen Menschen, dem zumindest bisher nicht die Zurichtung auf einen Menschen der Politik widerfuhr, ist nicht selten gezeichnet von Stolperpfaden, Barrikaden und so manchen Scharaden. Gelegentlich einen intensiven Blick in diese Vergangenheit zu wagen hilft, sich der tieferen Beweggründe aktueller Interessenlagen und Handlungsmotivationen gewahr zu werden. Anlässlich des 20. Jubiläums eines rasanten politischen Zerfallsprozesses…
Vor exakt 20 Jahren fand in Nordhausen eine von der Antifaschistischen Aktion Südharz (AAS) organisierte Gegendemonstration zum Aufmarsch der NPD statt. Das Antifainfoblatt berichtet anschließend von einer durch „brennende Barrikaden“ und anderen Blockaden versperrten Route sowie von „einem verkürzten Aufmarsch und zwei Stunden Verspätung“ für die rund 300 Neonazis (http://www.antifainfoblatt.de/artikel/widerstand-gegen-marschierende-neonazis).
Dieser Gegendemonstration war eine Woche zuvor, also am 2.12.2000, die mit über 1000 Teilnehmer*innen bis heute größte antifaschistische Demonstration in der nordthüringischen Kleinstadt vorausgegangen, welche ebenfalls von der AAS, welche damals eng verbunden war mit der Autonomen Antifa M aus Göttingen, organisiert wurde. Sie fand unter dem Titel ‚Antifaschistisch Leben Handeln Kämpfen‘ statt und war Teil jener letzten ‚Antifa-Offensive‘ der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), die antifaschistische Politik auch in die häufig von rechter Hegemonie geprägte Provinz im Osten der Republik transportieren sollte. Ziel war es in die Offensive zu gehen und so die reaktiven Handlungsmuster aufzubrechen, welche sonst stets nur die Aktionen der Neonazis zu behindern versuchten. In Nordhausen wurden damals einerseits sozial- und geschichtspolitische Forderungen aufgestellt. Andererseits versuchte man sich von staatlichen Vereinnahmungs- und Kriminalisierungsstrategien der rot-grünen Politik in Form eines ‚anständigen Aufstands‚ zu distanzieren, welche mit dem ‚Aufstand der Anständigen‘ jegliche systemtranszendierende Energie sowie Kritik an der Agenda 2010 einhegte. Der damalige Demoaufruf umreißt auch im Rückblick das Problem noch recht passend. Dort heißt es eingangs:
„Nordhausen ist eine der typischen (Ost)Kleinstädte, die wie viele ein großes Potential an rechtsextremistischen Personenkreisen aufweist und somit als Sammelbecken für rechtsextremistische Umtriebe aus der Umgebung gilt. Die Situation und dessen Auswirkungen ist keine Entwicklung der letzten Monate sondern Realität schon seit Jahren und birgt zugleich die politische Unfähigkeit der Stadt und regionaler Politik, charakterisiert das jahrelange Wegsehen, Ignorieren und Todschweigen. Das städtische ‚Jugendkonzept‘ ist schon längst vor dem Baum gefahren. Antifaschistische, antirassistische und alternative Initiativen und Strömungen sind völlig alleingelassen und durch die ‚akzeptierende Jugend-und Sozialarbeit‘ ausgegrenzt wurden, dagegen rechte Gesinnung hofiert und legalisiert. So gibt es mittlerweile keine alternativen Jugendclubs, keine städtischen Jugendprojekte oder Förderungen die die so oft, im Zuge der ‚Deutschland-Einig-Antifa‘ – Welle, zitierten Zivilcourage fördern. Stattdessen werden von Faschos ganze Stadtteile feierlich als ’national befreite Zonen‘ deklariert und Übergriffe auf z.B. Andersdenkende, Punker, Alternative, Jugendclubs und Einrichtungen reihen sich nahtlos in die Chronik der rechten Gewalttaten ein und werden zum Stück trauriger Normalität. Die rechte Hegemonie im Alltag lässt sich noch beliebig an 1000 Beispielen verdeutlichen. […] Für die Stadt ist aber alles friedlich, alles still, alles super…“ (https://www.nadir.org/nadir/initiativ/aam/2000/ndh/index.htm )
Ohne hier mit einer besonderen Sentimentalität gegenüber dem damaligen Aktionismus aufwarten zu wollen, muss dennoch konstatiert werden, dass die Ereignisse im Jahr 2000 für mich und viele meiner Freund*innen eines unserer zentralen Politisierungsmomente darstellten. Schaut man sich die noch heute überlieferte Berichterstattung an, wundert es kaum, dass auch jene damals nichtorganisierten und lediglich anpolitisierten jungen Menschen – wie ich – nicht nur von der staatlichen Repression (etwa die unverhältnismäßigen Eingriffe in die Grundrechte bei den Hausdurchsuchungen im Vorfeld aufgrund von antifaschistischen Spühereien in der Stadt; https://www.nadir.org/nadir/aktuell/2000/11/30/1704.html), sondern auch von der allzu offensichtlichen Parteilichkeit der Lokalpresse entsetzt waren. Bereits im Vorfeld der Demo vom 2.12. hatte die AAS mit zahlreichen weiteren Kriminalisierungen (unverhältnismäßige Demoauflagen etc.) und Verleumdungen zu tun. Die ‚Neue Nordhäuser Zeitung‘ reproduzierte zudem in ihrer Vorberichterstattung das Bild einer zu Unrecht in den Fokus gelangten Kleinstadt ganz typisch in Formen der Schuldabwehr. So sollte „die AAS doch wohl lieber in Göttingen auf die Straße gehen“, wo sich ihr zufolge die „Zentrale der AAS“ befand (https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=509). Die Rhetorik verrät, dass der*die Autor*in hier selbst gedanklich noch der Blockkonfrontation aufsaß. Der Qualitätsjournalismus setzte sich am Tag der Demo in gleicher Weise fort: „Nordhausen erlebte jedenfalls eine Polizeipräsenz wie nie zuvor. Doch das soll nicht als negativ beurteilt werden. Angesichts eines solchen Aufgebotes der Staatsmacht war wohl allen Autonomen der Spaß an Krawallen vergangen.“ Nicht nur Autoritätsbindung und Straflust kommen hierdurch zum Vorschein, sondern ein in Infantilisierungsrhetorik gewandter Paternalismus: „Radikale Sprüche einer radikalen Minderheit unter Göttinger Anleitung […] gegen den Kapitalismus. Die, die das brüllten, waren dann zum großen Teil gerade der Konfirmation oder der Jugendweihe entkommen und hätten an diesem sonnigen Dezembernachmittag wohl eher zur Teenie-Disko gehen sollen.“ (https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=3255) Für jemand wie mich, der damals zufällig wirklich gerade „der Jugendweihe entkommen“, der nicht nur in Schule und Jugendzentrum regelmäßig mit Neonazis, sondern auch zu Hause mit einem politischen Opportunismus seiner Eltern konfrontiert war, waren sowohl die durch diese Demonstration aufgeworfenen Probleme als auch die politische wie mediale Bagatellisierung nicht nachvollziehbar. Die gebetsmühlenartige Wiederholung am Ende eines jeden dieser Artikel, wonach die friedliebenden Nordhäuser*innen stets in dankender Eintracht mit der Staatsmacht stünden, löste in mir schon damals jene Abwehrreflexe aus, die ich später immer wieder aufgriff.
In einer Zeit als der Thüringer Heimatschutz und bereits der NSU im immer brauner gefärbten Herzen Deutschlands wüteten, schaffte es diese Lokalpresse stets auf Neue die rechte Bedrohung herunterzuspielen und dabei die Ankläger*innen dieser ostdeutschen Zustände zu entmündigen: „Auch in Nordhausen soll es einen nationalen Widerstand geben, auch in Nordhausen werde die rechte Gefahr verharmlost, so eine Sprecherin, pardon, Aktivistin der Antifa“ (https://www.nnz-online.de/news/news_lang_druck.php?ArtNr=2038), heißt es noch im anschließenden Sommer. Am 28.7.2001 wurde die sozialpolitische Forderung nach einem „alternativen und unabhängigen Jugendzentrum“ (Ebd.) erneut aufgegriffen. Man kann der Region schwerlich seine geistige wie ökonomische Rückständigkeit vorwerfen, die sich im Zuge der Systemtransformation einstellte. Die nachholende Entwicklung zeigte sich bspw. darin, dass weder die politischen Eliten noch die Presse seinerzeit etwas von demokratischer Protest- und florierender Jugendkultur verstand, wie es sie etwa in der BRD der 1970er Jahre im Zuge der Jugendzentrumsbewegung gab. Demnach konnte scheinbar einzig mit Systemimmanenz auf jegliche Störung im Getriebe reagiert werden: „So richtig, Ihr lieben gewaltlosen Linken, wird das alles aber nicht klappen mit dem Jugendzentrum. Wer soll denn zum Beispiel die Miete bezahlen, wer die Betriebskosten, wer die Einrichtung? Und dann werdet ihr sicher nicht überall mit offenen Armen empfangen. Denn wer die – zwar friedliche – aber dennoch illegale Besetzung der ehemaligen Polizeidirektion am Pferdemarkt als Geniestreich feiert, der hat wirklich nicht begriffen, nach welchen Regeln eine Gesellschaft, zumindest die aktuelle, funktioniert.“ (https://www.nnz-online.de/news/news_lang_druck.php?ArtNr=2038) Autoritarismus und Ordnungsfetischismus hatten genügend Zeit sich in die Tiefenschichten des Bewusstseins der Nordhäuser*innen hineinzugraben und dort festzusetzen.
Mit diesen Demonstrationen war nicht nur die kurze Hochphase antifaschistischer Politik in Nordhausen vorbei. Im selben Jahr 2001 wurde sogleich auf dem Antifa-Kongress ‚Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen‘ in Göttingen nach fast zehnjährigem Bestehen das Ende der AA/BO besiegelt. Es dauerte einige Jahre, bis in Nordhausen überhaupt wieder eine nennenswerte außerparlamentarische Linke entstand, die sogleich nicht mehr an einer Kritik am Kaderkommunismus und Antiimperialismus vorbei kam. Letztlich hat sich die antifaschistische Politik jedoch nie mehr wirklich erholen können und wurde weitestgehend von einer rechten Hegemonie abgelöst. Bis heute eine unabgeschlossene Phase unserer Jugend.