
Warum auch sollte der völkisch-revanchistische Krug diesmal an einem der Mülleimer der Geschichte, jenem Provinznest Nordhausen, vorbeiwandern? Die „friedlichen Montagsmahnwachen“, die in anderen Städten bereits nicht unerhebliche Gegenwehr erfahren und von denen sich sogar weite Teile der sogenannten „Linken“ distanziert haben, bis auf einige Hardline-Stalinisten selbstverständlich, wie zum Beispiel die „Antiimperialistische Plattform“ (AiP) in Berlin, die sich neben der russischen Okkupationspolitik auch mit Assad und dem nordkoreanischen Regime solidarisiert, da die „westlichen Medien“ mit ihrer „einseitigen Berichterstattung“ die Wahrheit verbergen, beginnen nun auch in Nordhausen. In das gleiche Horn blasen nun, zumindest die „Medienkritik“ und den pathischen Antiamerikanismus und Antizionismus betreffend, auch einige zivilengagierte Nordhäuser_innen, die ihrer Bürgerwut auf dem Rathausplatz Luft machen wollen, indem sie „gegen Verdrehung der Tatsachen und gegen die Dummhaltung unserer Gesellschaft demonstrieren“ (Moritz Frisben).
Nachdem es nun der Verschwörungstheoretiker Jürgen Elsässer, einstiger „Linker“ und mit seinem Online-Forum „Mut zur Wahrheit“ zugleich Ideengeber des AfD-Mottos, auch in die Landeshauptstadt nach Erfurt geschafft hat, ist gerade noch unklar, ob einige verirrte junge Nordhauser_innen um Moritz Frisben (Facebook-Name) auch derartige Mahnwachen in der Stadt holzköpfener Rolands etablieren können. Dass Elsässer inzwischen eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen ist, dürfte für politisch Interessierte seit geraumer Zeit keinen Neuheitswert besitzen. Wohl aber für die jüngst hier in Nordhausen in Erscheinung tretenden, „freipolitisch“ orientierten Querfrontler der sog. Montagsdemos, die gerade ihre ersten politischen Erfahrungen machen. Dass die Kundgebungen und Mobilisierungen für „den Frieden“ bisher ausblieben, liegt wohl eher daran, dass ihre Zielgruppe, ihr soziales Milieu und ihre Altersgenossen derzeit lieber noch die auf dem Jahrmarkt stattfindende Bespaßung dem Politischem vorziehen. Der Jahrmarkt ist, auch wenn durch Schießbuden, Autoscooter und Breakdance-Karussel quasi „spielerisch“ und hübsch im Kitsch verpackt die Vorausetzungen für den Volkssturm angelegt sind, im Vergleich zur Bürgerwutmobilisierung eher noch das kleinere Übel. Und das, obwohl diese stark reduktionistischen Erklärungsmuster für den Frieden wohl auch auf dem Jahrmarkt auf Resonanz stoßen würden. Im orthodox-marxistischem Sinne kann man von einer „Nochtrennung“ von Überbau (Ideologie) am Rathausplatz und Basis, den bespaßten Volksmassen am August-Bebel-Platz, sprechen. Aus einer ideologiekritischen Perspektive sollte wohl eher von einer glücklicherweise fehlenden Vermittlungsinstanz ausgegangen werden, die den Leidensdruck der sich auf auf dem August-Bebel-Platz tümmelnden Ausgeschlossenen nicht zu kanalisieren vermag. Was Volker Weiss in seiner Kolumne über das Milieu der „Neuen Rechten“ schreibt, trifft wohl auch hier zu: „Da die derzeitigen Heroen dieses Denkens („das der ‚intellektuellen Rechten in Deutschland‘; Anm. P3) eben keine Absolventen ihrer Kaderschmieden sind, sondern Verfallsprodukte der bürgerlichen Mitte, ist sein (Richhardt Gebhardts; Anm. P3) Befund eindeutig: ‚Die Rechte ist gegenwärtig nicht die Avantgarde, sondern die Nachhut.‘) Es trifft insofern den Punkt, als dass die aus der bürgerlichen Mitte stammenden protestierenden pseudointellektuellen „Aufklärer“ das zu leisten vermögen, wofür „den Neonazis“ die Basis fehlt: die Akzeptanz in der Manövriermasse des Volkes.
Moritz Frisben, vermeinlicher Initiator der Nordhäuser Mahnwache, versucht zunächst alles basisdemokratisch rückzukoppeln, indem er in der von ihm erstellten Facebook-Gruppe für alle seine letzten Handlungen Facebook-Umfragen erstellt. So beispielsweise, ob er er nun eine Demo anmelden soll oder ob sich jemand zu seinem Flashmob gesellt. Es scheint, als würde er sich in seine Verschwörungs-Internet-Lektüre verrennen, ohne dabei für seine neuen Wahrheiten auf größere Resonanz außerhalb seines Freundeskreises zu stoßen. Umso unerbitterlicher versucht er durch die Verwendung von möglichst vielen Ausrufezeichen seinen Aussagen Nachdruck zu verleihen. Im einzigen, von ihm selbst verfassten kurzen inhaltlichen Aufruf auf dieser Seite, der neben effektvoll platzierten Bildern mit slogenhaften Phrasen und einigen Videoclips, u.a. vom Antisemiten Ken Jebsen und Andreas Popp, zeigen sich bereits alle ideologischen Substrate, deren Fragmente seine Verschwörungtheorie verwebt. Es ist Lokalpatriotismus und Heimatliebe zum „süßen kleinen Nordhausen“ gepaart mit Allmachtsphantasien, die die Initialzündung für die Handlungserfordernis hervorbrachten, gegen die Verdrehungen und Dummhaltung zu rebellieren und „somit auch für den allgemeinen Frieden in Deutschland, Europa und der Welt !!!!“ Was ausgerechnet Nordhausen und Deutschland dafür prädestiniert, eine Vormachtstellung im Friedensgeschäft einzunehmen, bleibt im Verborgenen. Vielleicht ist es die nicht allzu lang zurückliegenden Friedens-Neonazi-Demo unter dem Motto „Keine Panzer für Nahost! Keine Waffen für fremde Interessen“, die von antizionistischen und antiamerikanischen Schlachtrufen begleitet war und deren Initiatoren von der Aktionsgruppe Nordhausen auf dem nationalen Antikriegstag 2011 in Dortmund bereits unter dem Banner „USRAEL stoppen, Imperialismus bekämpfen“ marschierend durch die Stadt zogen. Die inhaltlichen Überschneidungen fallen Moritz Frisben und seinen Gefährten naturgemäß nicht auf, was das deutlichste Indiz für Verfangenheit in ein Wahnsystem ist. „das mit überhaupt irgendwelchen verschwörungstheorien zu verseuchen und nur sich die rechten idioten rauszusuchen […] hetzen auf friedlich leute„. Sein „Wir dürfen nicht vergessen welcher STAAT immer für KRIEG gut ist!!!!„, suggeriert par excellence, was die Neonazis auszusprechen wagen und was diese wiederum zu besseren Märtyrern macht. Alles verweist auf eine Geschichtsvergessenheit, die den Neupolitisierten – oder besser postpolitischen Querfrontlern – zu Eigen ist, deren historische Entwicklung und Kontinuität im Themenschwerpunkt der aktuellen Jungle World (z.B. hier, hier, hier und hier) abgehandelt wird. Aber auch das ist ja ein westliches, von der amerikanischen Ostküste instrumentalisiertes Medienformat zur Geißelung der Deutschen. Die getätigten Aussagen sollen jedoch keine konkrete politische Ausrichtung haben, wobei Frisbens „freipolitisch“ ledigilich auf die Verweigerung parteipolitischer Programme zielt und eben jenen Querfrontgedanken hoch hält, dem sich die deutschen Proletarier bereits spätestens Anfang der 1930er angeschlossen hatten, was auch sie im Übrigen bereits 1945 plötzlich schnell wieder vergessen hatten. Die Ineinssetzung von “ jegliche[r] Formen von Gewalt, Rassismus und Extremismus“, von denen er sich mittels eines Lippenbekenntnisses abzugrenzen versucht, zeigen seine soziale Sozialisation in „der Mitte der Gesellschaft“ in gleicher Weise an, wie seine Unerfahrenheit in politischer Intervention. Dass er bewusst oder unbewusst kein Bekenntnis gegen Antisemitismus aufzählt, lässt nur vermuten, ob er sich nicht gegen diesen noch nicht einmal in Form eines Lippenbekenntnisses zu positionieren traut, um seine potentiellen neuen AnhängerInnen – die Neu-Rechten und RechtspopulisInnen – nicht zu verprellen, oder ob er, im traurigerweise fast schon besseren Fall, keinen qualitativen Unterschied von Rassismus und Antisemitismus zu sehen vermag.
Frisben macht es seinem Idol Elsässer gleich. „Elsässer redet in Erfurt, wo das rechte fb-Anonymous-Kollektiv soeben unter Gewaltdrohungen bisherige Orgaleute rausgeworfen hat, die als irgendwie links galten. Am 26.5. ist die erste unmissverständlich rechte Wahnmache in Erfurt – und dort redet Elsässer. Tatsache. — Die Distanzierungen sind als taktische zu verstehen.“ (Jutta Ditfurth) Die Distanzierungen von rassistischem, antisemitischem, faschistischem und nationalistischem Gedankengut“, wie auch am Beispiel von Berlinkoordinator Lars Mährholz deutlich, rollen den Friedenspropheten ebenso schnell über die Lippen wie einem Tourette-Syndrom-Neurotiker seine Beleidigungen. Im Wahn der Masse endlich das offenbaren zu dürfen, was von Pollock, Adorno et al. im „Gruppenexperiment“ unter der sogenannten „nicht-öffentlichen Meinung“ verstanden wurde, zeigt in kristalliner Reinform an, wohin die Triebsublimierung moderner, spätkapitalistischer Subjekte zu tendieren vermag: in gegenaufklärerische Triebentladung am imaginierten Feind. Der so „leere Signifikat“ ist nicht derart leer, wie es in postmodernen Theorien so häufig behauptet wird, da der Antisemitismus nun mal weder als vorübergehende Erscheinung anzusehen ist, was neben den antizionistischen Hetze auf den Friedensdemos auch jüngst an den Ermordungen im Brüsseler Jüdischen Museum erkennbar wurde, noch sich in irgendeiner Weise am Verhalten „der Juden“ ausrichtet, er damit reine Projektion und zugleich, am innersubjektiven Zustand gemessen, reine Psychose ist. Die Gegenargumente nicht zu kennen, kann Moritz Frisben nicht vorgeworfen werden. Auf der Facebook-Seite verlinkte er einen Spiegel-Beitrag, der zwar sehr polemisch, jedoch inhaltlich unerwartet vernünftig ist, deren Argumente er allerdings nicht in sein Wahnsystem zu intergrieren vermag.
Am Grad des Antisemitismus ist zugleich der Verwirklichungsgrad einer emanzipativen, sozialen Revolution, die das Individuum vom Kollektivzwang befreit, ablesbar. Damit verweisen die gegenwärtigen Mahnwachen erneut darauf, dass das Fenster zur Revolution – zum Kommunismus als „wirkliche Bewegung“ -, außer es soll eine „deutschnationale“ sein, hermetisch verriegelt ist. Gefährlich wird dieser Umstand dadurch, dass gegenwärtig politisierte Menschen, wie am Beispiel von Moritz Frisben erkennbar wird, für derartige manichäische Offenbarungen besonders empfänglich sind. Der Verlust von Selbstwirksamkeitserfahrungen sowie die Erfahrung von Blassiertheit und Indifferenz dürfte jedem modernen Subjekt bekannt sein. Der Griff zur naheliegendsten Keule als Frustabbau statt zur Notbremse im bereits einmal abgestürzten Zug der Geschichte gewinnt für politisch Verirrte zunehmende Relevanz. Um erneut mit Idealtypen zu arbeiten, so ist Moritz Frisben der postmoderne Roland-Rebell, Seite an Seite auf dem Rathausplatz mit seinem holzköpfigen älteren Bruder.
Doch noch einmal zurück: Was gerade Nordhausen dafür prädestiniert, auf die Friedenswelle aufzuspringen, deren Verständnis von Pazifismus ich an anderer Stelle am Beispiel der Affinität zum Antisemitismus bereits beleuchtet hatte, ist vielleicht auch einfach ein posttraumatischer Reflex. An den Mahnwachen wird der Versuch ersichtlich, endlich von der Vergangenheit loszukommen, wenn Ken Jebsen und Konsorten immer wieder betonen, dass „Auschwitz“ mit der derzeitigen Generation nichts mehr zu tun hat, da die letzten Zeitzeugen, allesamt Opfer ihrer damaligen Verhältnisse, zum größten Teil verstorben sind. Überhaupt sei nach Jebsen der Holocaust nur eine von Juden selbst initiierte PR-Kampagne. Die Mahnung Adornos, um hier seine Reformulierung seines kategorischen Imperativs zu bemühen, nach dem „alles Denken und Handeln so einzurichten [sei], daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“, wird bestenfalls zum Anlass genommen, um die damalige deutsche, antisemitische Ideologie von „Zinsknechtschaft“ und Personifizierungen von Schuldigen, die „hinter den Verhältnissen“ stehen, von wo aus sie durch „die“ Medien die Volksmassen steuern, gedanken- wie kritiklos und „wütend“ fortführen zu können. Die Undurchsichtigkeit der kapitalistischen Verhältnisse, in denen das Geld zur Ware gehört wie der Zins zur industriellen Produktion, führt zu den selben Kurzschlüssen, die die Krisenzeiten in den 1920er und ’30er jahren begleiteten, als „die Juden“ durch die Nachrichtenkonzerne die Welt am Gängelband hielt. „Unsere Medien zeigen oft nicht was wirklich passiert! Sie zeigen nur das was unsere Regierungen bzw. Machthaber ihnen sagen. Warscheinlich werden dafür die Medienkonzerne entsprechend entlohnt! Fakt ist das der Frieden sogar jetzt auch in Europa in Gefahr ist, was an der falschen Berichterstattung der westlichen Medien liegt! Es wird eine ungeheuerliche Hetze gegen Russland betrieben!“ (Moritz Frisben)
Doch gerade jetzt ist es vielleicht nicht trotz, sondern wegen „Dora“ hier in Nordhausen an der Zeit, den Schlussstrich mit der Vergangenheit zu ziehen, auf den die Lokalpolitiker_innen mit ihren Bombardierungsgedenken seit eh und je abzielen. Es ist die Verantwortung der einstmaligen Hochburg des Totalen Krieges und der Rüstungsbastion in Nordhausen nun endlich den Frieden in die Welt zu tragen! Entlang dieser Argumentation wird die pseudo-rebellische Aktion der Friedensaktivisten nur allzu deutlich: Sie rebellieren nicht, sondern schmiegen sich opportun-konformistisch an den typisch deutschen Kurs an. Sie schreien heraus, was die offizielle Politik im Symbolischen vollzieht: Sie sind die Vorhut der Einheit aus Volksmob und Verwaltung. Der NPD-Aufforderung aus dem kommunalen Wahlkampf, die „Bürgerwut in den Kreistag“ zu wählen, geht selbige auf dem Rathausplatz voraus. Erneut halte ich es an dieser Stelle mit Wolfgang Pohrt: „Früher haben die Deutschen der Welt den Krieg erklärt, heute erklären sie ihr den Frieden.“ Wenn Deutsche „erklären“, bedeutet es nichts Gutes…
PS: Es wurde in den Zitaten mit Bedacht auf die wissenschaftlich übliche Korrektur der grammatikalischen wie orthografischen Fehler verzichtet. Zum einen, da sonst wegen der vielen (sic!)-Einschübe das Lesen und Erfassen des Inhalts deutlich erschwert worden wäre. Zum anderen, da sie der sprachliche Ausdruck jener scheinbaren Dringlich- und Unmittelbarkeit, endlich losschlagen zu dürfen, sind, die der Wut zu eigen und dem Denken fremd sind.
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